6. Sitzung des gem. Expertenausschusses des deutsch-bosnischen Rückübernahmeabkommens, 19.-20. 11. 98  

Sechste Sitzung des Gemeinsamen Expertenausschusses gemäß Art. 9 des Abkommens zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung von Bosnien und Herzegowina über die Rückführung und Rückübernahme von Personen (Rückübernahmeabkommen)

Abgestimmte Niederschrift


Die Sitzung wurde vom Leiter der deutschen Delegation, Herrn MinDirig im Bundesministerium des Innern, Dr. Gerold Lehnguth geleitet. Die bosnische Delegation stand unter Leitung von Herrn Botschaftsrat Muamer Jarovic.

Die Teilnehmer sind in Anlage 1 verzeichnet.

Die mit den Teilnehmern zu Beginn der Sitzung abgestimmte Tagesordnung ist in Anlage 2 beigefügt.

Die Gespräche verliefen in offener Atmosphäre und waren insgesamt von einem konstruktiven Diskusssionsverhalten geprägt.


Als Ergebnisse können im wesentlichen festgehalten werden:


Zu TOP 1: Entwicklung der Rückkehrerzahlen:

  1. Die bosnische Seite gab einen Überblick über die bisherigen Zahlen der Rückführungen.
    Danach wurden im Rahmen des Rückübernahmeabkommens bislang rd. 43.000 Rückübernahmeersuchen gestellt. 8000-9000 dieser Ersuchen erfolgten ohne nähere Bezeichnung des Herkunftortes. Die restlichen 34.000 - 35.000 Ersuchen bezogen sich zu nahezu gleichen Teilen auf Personen aus dem Gebiet der Föderation von Bosnien und Herzegowina und Personen aus der Republika Srpska.

    Nach Angaben der bosnischen Seite wurden bisher insgesamt 2.517 Abschiebungen nach Bosnien und Herzegowina durchgeführt; davon 1.598 im laufenden Jahr. Bei den im Jahr 1998 vollzogenen Abschiebungen handelte es sich in 686 Fällen um Personen aus dem Gebiet der Föderation von Bosnien und Herzegowina, in 558 Fällen um Personen aus der Republika Srpska. In den restlichen Fällen erfolgte die Abschiebung ohne nähere Angabe zum Herkunftsort.

  2. Die von bosnischer Seite vorgelegte Zahl von Abschiebungen deckt sich im wesentlichen mit den hierzu unterbreiteten Angaben der deutschen Seite, wonach bislang rd. 2.500 Personen nach Bosnien und Herzegowina abgeschoben worden sind. Allerdings gibt es nach deutscher Auffassung eine erhebliche Differenz bei den Rückübernahmeersuchen. Hier liegt die Zahl bei ca. 60.000. Die Diskrepanz könnte sich aus einer hohen Zahl der noch bei den Vertretungen befindlichen Ersuchen erklären.

  3. Hinsichtlich der Zahl der freiwilligen Rückkehr nach Bosnien und Herzegowina bestehen unterschiedliche Auffassungen. Die deutsche Seite geht aufgrund der Meldungen der Länder, der Angaben von IOM Bonn und Sarajewo sowie der Erkenntnisse des UNHCR von einer Zahl von bislang rd. 200.000 freiwilligen Rückkehrern aus. Die bosnische Seite vertritt den Standpunkt, daß sich die Zahl der bisherigen freiwilligen Rückkehrer auf der Grundlage der im Protokoll der letzten Sitzung veranschlagten Zahl, den Angaben des Arbeitsstabes und der Monatsstatistik von IOM auf ca. 220.000 Personen beläft.

    Beide Seiten gehen übereinstimmend davon aus, daß bislang ca. 20.000 Personen in Drittländer weitergewandert sind.


    Zu TOP 2: Programme/Projekte zur Förderung der Flüchtlingsrückkehr und des rückkehrbegleitenden Wiederaufbau in Bosnien und Herzegowina

  4. Ein Vertreter des Arbeitsstabes des Beauftragten der Bundesregierung für Flüchtlingsrückkehr und rückkehrbegeitenden Wiederaufbau n Bosnien und Herzegowina gibt einen kurzen Überblick über die wesentlichen, derzeit laufenden Programme und Projekte des Wiederaufbaus in Bosnien und Herzegowina.

    Er benennt in diesem Zusammenhang insbesondere die vom Arbeitsstab selbst finanzierten Projekte in Höhe von rd. 8,6 Mio. DM sowie die vom BMZ finanierten Programme im Bereich der Not- und Flüchtlingshilfe (rd. 15 Mio. DM) und der allgemeinen entwicklungspolitischen Zusammenarbeit (rd. 22 Mio. DM).

    Er weist ferner auf die Vielzahl der von den Ländern, Kommunen und den freien Wohlfahrtsverbänden initiierten und teilweise selbst finanzierten Programmen hin.

  5. Als nach wie vor schwierig bezeichnet der Vertreter des Arbeitsstabes die Finanzierung und Organisation von Programmen seitens der EU. Nach den derzeitigen Planungen der EU seien für Bosnien und Herzegowina für das kommende Jahr rd. 90 Mio. ECU vorgesehen, die im wesentlichen für die Stärkung der Wirtschaft aufgewandt werden sollen.

    Der Vertreter des Arbeitsstabes übergibt auf Wunsch der bosnischen Seite die in Anlage 3 beigefügte Projektübersicht.

  6. Die bosnische Seite bringt den Wunsch zum Ausdruck, eine Übersicht über Projekte zu erhalten, die einen unmittelbaren Bezug zur Rückkehr von Flüchtlingen haben.


    Zu TOP 3: Rückkehr von Flüchtlingen aus der Republik Srpska in das Gebiet der Föderation

  7. Der deutsche Delegationsleiter weist unter Bennenung konkreter Fälle darauf
    hin, daß es auch in jüngster Zeit wieder mehrfach zur Vorlage von Bescheinigungen bosnischer Stellen gekommen ist, wonach Flüchtlinge aus der Republik Srpska nicht in der Föderation von Bosnien und Herzegowina aufgenommen werden können. Anders als bislang wurden derartige Bescheinigungen nicht nur im Rahmen von Rückübemahmeersuchen erteilt, sondern auch zum Zwecke der Vorlage bei der zuständigen deutschen Ausländerbehörde im Rahmen der aufenthaltsrechtlichen Entscheidungsfindung ausgestellt.

    Die deutsche Seite bittet dringend darum, dafür Sorge zu tragen, daß derartige Bescheinigungen von bosnischen Behörden in Zukunft nicht mehr ausgestellt werden.

  8. Die bosnische Seite erklärt hierzu, daß die Bereitschaft der bosnischen Seite zur Rückübemahme von Flüchtlingen von Bescheinigungen dieser Art nicht berührt wird.

  9. Die Delegationen stimmen darin überein, daß es sich bei den bezeichneten Fällen um Einzelfälle handelt, die nicht dazu bestimmt sind, die Rückübernahmebereitschaft der bosnischen Seite zu tangieren oder die aufenthalts-rechtliche Entscheidungsfindung der deutschen Behörden zu lenken. Hinsichtlich der Pflicht zur "Registrierung" wird auf Punkt 7 des Protokolls des Gemeinsamen Expertenausschusses vom 12. August 1998 verwiesen.


    Zu TOP 4: Rückkehr besonderer Gruppen

  10. Die bosnische Seite weist in diesem Zusammenhang auf die Gruppe der ehemaligen Lagerinsassen und traumatisierten Personen hin, an deren Rückführung mit besonderer Sensibilität herangegangen werden müsse.

  11. Die deutsche Seite erläutert, daß die Gruppe der Lagerinsassen als Solche in den Beschlüssen der IMK nicht als gesonderte Personengruppe ausgewiesen sei. Als besonders schutzbedürftig zu behandeln seien nach der geltenden Beschlußlage der IMK traumatisierte Personen, die sich aufgrund ihres Traumas in der Bundesrepublik Deutschland in medizinische Behandlung begeben haben. Dies gelte dann auch für Lagerinsassen sofern eine Traumatisierung nachgewiesen sei. Für diese Personengruppe besteht nach Darstellung der deutschen Seite mangels einer entsprechenden medizinischen Versorgung in Bosnien und Herzegowina die Möglichkeit, ihre Behandlung in der Bundesrepublik Deutschland fortzuführen.

  12. Von beiden Seiten als hilfreich erachtet werden in diesem Zusammenhang Programme, die dazu beitragen sollen eine entsprechende therapeutische Behandlungsstruktur auch in Bosnien und Herzegowina aufzubauen.

  13. Die bosnische Seite begrüßt weiter das von den Bundesländem NRW und Bayern aufgelegte Programm, wonach Personen, die in der Bundesrepublik einer gesicherten Arbeit nachgehen, ein weiterer befristeter Aufenthalt hier ermöglicht wird, sofern die übrigen Familienangehörigen freiwillig nach Bosnien und Herzegowina zurückkehren. Dieser Lösungsansatz stellt nach Einschätzung der bosnischen Seite einen überaus sinnvollen Weg der erleichterten wirtschaftlichen Wiedereingliederung von rückkehrenden Familien in Bosnien und Herzegowina dar.

  14. Die deutsche Seite stimmt dieser Einschätzung zu und kündigt an, diese Lö-sungsform im Rahmen der nächsten AG Rückführung (2./3. Dezember 1998 in Saarbrücken) zu erörtern.


    Zu TOP 5: Büro der Regierung Bosnien und Herzegowinas zur Unterstützung der Rückkehr der in der Bundesrepublik Deutschland lebenden Kriegsflüchtlinge nach Bosnien und Herzegowina

  15. Der Leiter der deutschen Delegation begrüßt die regelmäßige Vorlage von Tätigkeitsberichten durch das Regierungsbüro. Er regt an, in Zukunft verstärkt darauf zu achen, daß neue Aktivitäten bei der Fortschreibung der Berichte deutlich gemacht werden. Auch sollte in Zukunft verstärkt auf die Vollständigkeit der vorgelegten Verwendungsnachweise geachtet werden.

  16. Der Leiter der deutschen Delegation weist darauf hin, daß nach Art. 3 (2) Satz 1 des Zusatzprotokolls über die Errichtung eines zeitweiligen Büros der Regierung Bosnien und Herzegowinas zur Unterstützung der Rückkehr der in der Bundesrepublik Deutschland lebenden Kriegsflüchtlinge die befristete Tätigkeit des Büros bis Ende 1998 vorgesehen sei. Der Leiter der deutschen Delegation führt weiter aus, daß Art. 3 (2) Satz 2 des Protokolls aber auch die Möglichkeit eröffnet, die Tätigkeit des Büros zu verlängern. Erforderlich hierfür ist eine entsprechende Absprache der Parteien bis spätestens 3 Monate vor Ablauf des Tätigkeitszeitraums.

    Der Leiter der deutschen Delegation legt dar, daß eine solche Übereinstimmung hinsichtlich des Fortbestehens des Regierungsbüros im Rahmen eines Schriftwechsels zwischen der deutschen und bosnischen Seite bereits erzielt worden sei. Die Parteien stimmen darin überein, daß das mit Zusatzprotokoll vom 12. 2. 1997 etablierte Büro der Regierung Bosnien und Herzegowinas zur Unterstützung der Rückkehr der in der Bundesrepublik Deutschland lebenden Kriegsflüchtlinge nach Bosnien und Herzegowina bis Ende 1999 fortbestehen soll. Die im Zusatzprotokoll hinsichtlich des Betriebs vereinbarten Modalitäten gelten entsprechend fort.


    Zu TOP 6: Neues bosnisches Paßgesetz

  17. Die bosnische Seite gibt einen Überblick über die nach dem neuen Paßgesetz vom 31. 12. 1997 geltende Sach- und Rechtsalge.

    Nach den Ausführungen der bosnischen Seite wurde im August dieses Jahres mit der Ausgabe der neuen Pässe in Bosnien und Herzegowina begonnen. Ab Ende November 1998 sollen die neuen Pässe dann auch von den Auslandsvertretungen ausgegeben werden.

  18. Die deutsche Seite weist darauf hin, daß es bei Rückkehrern hier zu einer finanziellen Doppelbelastung kommen kann, wenn diese ihren kürzlich in Deutschland gegen eine Verwaltungsgebühr bezogenen alten Paß nach ihrer Rückkehr in Bosnien und Herzegowina bis spätestens Juni 1999 wiederum gebührenpflichtig gegen einen neuen Paß umtauschen müssen.

  19. Die bosnische Seite erkennt darin keine unbotmäßige finanzielle Doppelbelastung von Rückkehrern.


    Zu Top 7: Rückübernahme von Personen mit "humanitären" Pässen

  20. Die deutsche Seite erläutert das bereits mehrfach in Sitzungen des Gemeinsamen Expertenausschusses behandelte Thema der Rückübernahme von Personen mit "humanitären" Pässen.

    Der deutsche Delegationsleiter weist darauf hin, daß Inhaber von "humanitären" Pässen unabhängig von der Gültigkeit der Pässe rückzuübernehmen seien. Dies entspricht nach den Ausführungen der deutschen Seite zum einen der gefestigten völkerrechtlichen Praxis und ergibt sich zum anderen auch ausdrücklich aus Art. 2 Abs. 1 Ziff. 2 des Rückübernahmeabkommens.

  21. Demgegenüber sieht die bosnische Seite weiterhin eine Rückübernahmepflicht bei Personen mit "humanitären" Pässen nur dann als gegeben, wenn es sich dabei um Inhaber von gültigen Pässen handelt. Die bosnische Seite weist darauf hin, daß es sich bei den Inhabern ungültiger Pässe nur um wenige Einzelfälle handle.

  22. Der deutsche Delegationsleiter würdigt die bosnische Position gerade in Anbetracht der geringfügigen Anzahl der Fälle als deutliches Signal einer auf bosnischer Seite grundsätzlich wenig ausgeprägten Kooperationsbereitschaft


    Zu TOP 8: Rückkehr von Flüchtlingen in die Republika Srpska

  23. Die bosnische Seite bedauert das Fehlen eines Vertreters der Republik Srpska. Sie stellt fest, daß die angekündigte politische Öffnung der Republik Srpska gegenüber der ins Auge gefaßten Rückkehr von Flüchtlingen in die Republik Srpska bislang nur in unzureichendem Maß erfolgt ist.

    Die bosnische Seite wird mit dem Ziel der Verabschiedung eines Aktionsplans für die Rückkehr von Flüchtlingen in die Republik Srpska bei UNHCR und OHR um Hilfe nachsuchen, um in Zusammenarbeit mit den Behörden der Republik Srpska den genannten Plan zu erarbeiten und dem Expertenausschuß vorzulegen.


    Zu TOP 9: Verschiedenes

  24. In Ergänzung der abgestimmten Tagesordnung erfolgte ein Meinungsaustausch der deutschen und der bosnischen Seite zu den Themen: Behandlung von Flüchtlingen deren Wohnraum von anderen Flüchtlingen bewohnt wird, Stand der Umsetzung des Amnestiegesetzes in der Republik Srpska, sowie Transit von Rückkehrerfamilien bei denen nur ein Ehepartner bosnischer Staatsangehöriger und als solcher Inhaber eines gültigen bosnischen Reisedokuments ist.

  25. Die nächste Sitzung des Gemeinsamen Expertenausschusses soll voraussichtlich im März 1999 in Sarajewo und Banja Luka stattfinden.


Bonn, den 20. 11. 1998



Für die
deutsche Delegation

Dr. Gerold Lenguth
Für die bosnisch –
herzegowinische Delegation

Muamer Jarovic

Anlage 1

Deutsche Delegation

Herr MinDirig Dr. Gerold Lehnguth
(Delegationsleiter)
 



Bundesministerium des Innern
Herr MR Hans-Joachim Stange Bundesministerium des Innern
Frau RDín Christiane Hammann Bundesministerium des Innern
Frau LSín Dr. Anna Hochreuter Auswärtiges Amt
Herr MR Burkhard Freier Innenministerium des Landes Nordrhein-Westfalen
Herr RD Hans-Burkhard Richter Senatsverwaltung für Inneres Berlin
Herr Regierungsrat z.A. Schmitt Grenzschutzdirektion Koblenz
Herr RD Dr. Robert Haas
(nur zu TOP1 und TOP2 anwesend)
Arbeitsstab des Beauftragten der Bundesregierung für Flüchtlingsrückkehr und rückkehrbegleitenden Wiederaufbau in Bosnien und Herzegowina
Herr RD Hansgeorg Leibbrandt Arbeitsstab des Beauftragten der Bundesregierung für Flüchtlingsrückkehr und rückkehrbegleitenden Wiederaufbau in Bosnien und Herzegowina
Frau RR´n Antoinette Janko Dolmetscherin



Bosnische Delegation

Herr Muamer Jarovic
(Delegationsleiter)




Leiter des Informationsbüros von Bosnien und Herzegowina
Herr Mario Nenadic Leiter des Repatrierungsbüros beim Ministerium für Ziviltätigkeiten und Kommunikation
Herr Sulejman Garib Assistent des Ministers für Soziales, Flüchtlinge und vertriebene Personen der Föderation Bosnien und Herzegowina
Herr Dragisa Stankovic Assistent des Ministers für Ziviltätigkeiten und Kommunikation
Herr Asim Penava Vertreter des Auswärtigen Amtes von Bosnien und Herzegowina (Angehöriger der Botschaft von Bosnien und Herzegowina in Bonn)



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