Sechste Sitzung des Gemeinsamen Expertenausschusses gemäß Art. 9 des
Abkommens zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der
Regierung von Bosnien und Herzegowina über die Rückführung und
Rückübernahme von Personen (Rückübernahmeabkommen)
Abgestimmte Niederschrift
Die Sitzung wurde vom Leiter der deutschen Delegation, Herrn MinDirig
im Bundesministerium des Innern, Dr. Gerold Lehnguth geleitet. Die
bosnische Delegation stand unter Leitung von Herrn Botschaftsrat Muamer
Jarovic.
Die Teilnehmer sind in Anlage
1 verzeichnet.
Die mit den Teilnehmern zu Beginn der Sitzung abgestimmte
Tagesordnung ist in Anlage 2 beigefügt.
Die Gespräche verliefen in offener Atmosphäre und waren insgesamt von
einem konstruktiven Diskusssionsverhalten geprägt.
Als Ergebnisse können im wesentlichen festgehalten
werden:
Zu TOP 1: Entwicklung der Rückkehrerzahlen:
- Die bosnische Seite gab einen Überblick über die bisherigen
Zahlen der Rückführungen.
Danach wurden im Rahmen des
Rückübernahmeabkommens bislang rd. 43.000 Rückübernahmeersuchen
gestellt. 8000-9000 dieser Ersuchen erfolgten ohne nähere Bezeichnung
des Herkunftortes. Die restlichen 34.000 - 35.000 Ersuchen bezogen sich
zu nahezu gleichen Teilen auf Personen aus dem Gebiet der Föderation von
Bosnien und Herzegowina und Personen aus der Republika
Srpska.
Nach Angaben der bosnischen Seite wurden bisher
insgesamt 2.517 Abschiebungen nach Bosnien und Herzegowina durchgeführt;
davon 1.598 im laufenden Jahr. Bei den im Jahr 1998 vollzogenen
Abschiebungen handelte es sich in 686 Fällen um Personen aus dem Gebiet
der Föderation von Bosnien und Herzegowina, in 558 Fällen um Personen
aus der Republika Srpska. In den restlichen Fällen erfolgte die
Abschiebung ohne nähere Angabe zum Herkunftsort.
- Die von bosnischer Seite vorgelegte Zahl von Abschiebungen deckt
sich im wesentlichen mit den hierzu unterbreiteten Angaben der
deutschen Seite, wonach bislang rd. 2.500 Personen nach Bosnien
und Herzegowina abgeschoben worden sind. Allerdings gibt es nach
deutscher Auffassung eine erhebliche Differenz bei den
Rückübernahmeersuchen. Hier liegt die Zahl bei ca. 60.000. Die
Diskrepanz könnte sich aus einer hohen Zahl der noch bei den
Vertretungen befindlichen Ersuchen erklären.
- Hinsichtlich der Zahl der freiwilligen Rückkehr nach Bosnien und
Herzegowina bestehen unterschiedliche Auffassungen. Die deutsche
Seite geht aufgrund der Meldungen der Länder, der Angaben von IOM
Bonn und Sarajewo sowie der Erkenntnisse des UNHCR von einer Zahl von
bislang rd. 200.000 freiwilligen Rückkehrern aus. Die bosnische
Seite vertritt den Standpunkt, daß sich die Zahl der bisherigen
freiwilligen Rückkehrer auf der Grundlage der im Protokoll der letzten
Sitzung veranschlagten Zahl, den Angaben des Arbeitsstabes und der
Monatsstatistik von IOM auf ca. 220.000 Personen beläft.
Beide
Seiten gehen übereinstimmend davon aus, daß bislang ca. 20.000 Personen
in Drittländer weitergewandert sind.
Zu TOP 2: Programme/Projekte zur Förderung der
Flüchtlingsrückkehr und des rückkehrbegleitenden Wiederaufbau in Bosnien
und Herzegowina
- Ein Vertreter des Arbeitsstabes des Beauftragten der
Bundesregierung für Flüchtlingsrückkehr und rückkehrbegeitenden
Wiederaufbau n Bosnien und Herzegowina gibt einen kurzen Überblick über
die wesentlichen, derzeit laufenden Programme und Projekte des
Wiederaufbaus in Bosnien und Herzegowina.
Er benennt in diesem
Zusammenhang insbesondere die vom Arbeitsstab selbst finanzierten
Projekte in Höhe von rd. 8,6 Mio. DM sowie die vom BMZ finanierten
Programme im Bereich der Not- und Flüchtlingshilfe (rd. 15 Mio. DM) und
der allgemeinen entwicklungspolitischen Zusammenarbeit (rd. 22 Mio.
DM).
Er weist ferner auf die Vielzahl der von den Ländern,
Kommunen und den freien Wohlfahrtsverbänden initiierten und teilweise
selbst finanzierten Programmen hin.
- Als nach wie vor schwierig bezeichnet der Vertreter des
Arbeitsstabes die Finanzierung und Organisation von Programmen
seitens der EU. Nach den derzeitigen Planungen der EU seien für Bosnien
und Herzegowina für das kommende Jahr rd. 90 Mio. ECU vorgesehen, die im
wesentlichen für die Stärkung der Wirtschaft aufgewandt werden
sollen.
Der Vertreter des Arbeitsstabes übergibt auf Wunsch der
bosnischen Seite die in Anlage 3
beigefügte Projektübersicht.
- Die bosnische Seite bringt den Wunsch zum Ausdruck, eine
Übersicht über Projekte zu erhalten, die einen unmittelbaren Bezug zur
Rückkehr von Flüchtlingen haben.
Zu TOP 3: Rückkehr von Flüchtlingen aus der Republik Srpska
in das Gebiet der Föderation
- Der deutsche Delegationsleiter weist unter Bennenung
konkreter Fälle darauf
hin, daß es auch in jüngster Zeit wieder
mehrfach zur Vorlage von Bescheinigungen bosnischer Stellen gekommen
ist, wonach Flüchtlinge aus der Republik Srpska nicht in der Föderation
von Bosnien und Herzegowina aufgenommen werden können. Anders als
bislang wurden derartige Bescheinigungen nicht nur im Rahmen von
Rückübemahmeersuchen erteilt, sondern auch zum Zwecke der Vorlage bei
der zuständigen deutschen Ausländerbehörde im Rahmen der
aufenthaltsrechtlichen Entscheidungsfindung ausgestellt.
Die
deutsche Seite bittet dringend darum, dafür Sorge zu tragen, daß
derartige Bescheinigungen von bosnischen Behörden in Zukunft nicht mehr
ausgestellt werden.
- Die bosnische Seite erklärt hierzu, daß die Bereitschaft der
bosnischen Seite zur Rückübemahme von Flüchtlingen von Bescheinigungen
dieser Art nicht berührt wird.
- Die Delegationen stimmen darin überein, daß es sich bei den
bezeichneten Fällen um Einzelfälle handelt, die nicht dazu bestimmt
sind, die Rückübernahmebereitschaft der bosnischen Seite zu tangieren
oder die aufenthalts-rechtliche Entscheidungsfindung der deutschen
Behörden zu lenken. Hinsichtlich der Pflicht zur "Registrierung" wird
auf Punkt 7 des Protokolls des Gemeinsamen Expertenausschusses vom 12.
August 1998 verwiesen.
Zu TOP 4: Rückkehr besonderer Gruppen
- Die bosnische Seite weist in diesem Zusammenhang auf die
Gruppe der ehemaligen Lagerinsassen und traumatisierten Personen hin, an
deren Rückführung mit besonderer Sensibilität herangegangen werden
müsse.
- Die deutsche Seite erläutert, daß die Gruppe der
Lagerinsassen als Solche in den Beschlüssen der IMK nicht als gesonderte
Personengruppe ausgewiesen sei. Als besonders schutzbedürftig zu
behandeln seien nach der geltenden Beschlußlage der IMK traumatisierte
Personen, die sich aufgrund ihres Traumas in der Bundesrepublik
Deutschland in medizinische Behandlung begeben haben. Dies gelte dann
auch für Lagerinsassen sofern eine Traumatisierung nachgewiesen sei. Für
diese Personengruppe besteht nach Darstellung der deutschen Seite
mangels einer entsprechenden medizinischen Versorgung in Bosnien und
Herzegowina die Möglichkeit, ihre Behandlung in der Bundesrepublik
Deutschland fortzuführen.
- Von beiden Seiten als hilfreich erachtet werden in diesem
Zusammenhang Programme, die dazu beitragen sollen eine entsprechende
therapeutische Behandlungsstruktur auch in Bosnien und Herzegowina
aufzubauen.
- Die bosnische Seite begrüßt weiter das von den Bundesländem
NRW und Bayern aufgelegte Programm, wonach Personen, die in der
Bundesrepublik einer gesicherten Arbeit nachgehen, ein weiterer
befristeter Aufenthalt hier ermöglicht wird, sofern die übrigen
Familienangehörigen freiwillig nach Bosnien und Herzegowina
zurückkehren. Dieser Lösungsansatz stellt nach Einschätzung der
bosnischen Seite einen überaus sinnvollen Weg der erleichterten
wirtschaftlichen Wiedereingliederung von rückkehrenden Familien in
Bosnien und Herzegowina dar.
- Die deutsche Seite stimmt dieser Einschätzung zu und kündigt
an, diese Lö-sungsform im Rahmen der nächsten AG Rückführung (2./3.
Dezember 1998 in Saarbrücken) zu erörtern.
Zu TOP 5: Büro der Regierung Bosnien und Herzegowinas zur
Unterstützung der Rückkehr der in der Bundesrepublik Deutschland
lebenden Kriegsflüchtlinge nach Bosnien und Herzegowina
- Der Leiter der deutschen Delegation begrüßt die regelmäßige
Vorlage von Tätigkeitsberichten durch das Regierungsbüro. Er regt an, in
Zukunft verstärkt darauf zu achen, daß neue Aktivitäten bei der
Fortschreibung der Berichte deutlich gemacht werden. Auch sollte in
Zukunft verstärkt auf die Vollständigkeit der vorgelegten
Verwendungsnachweise geachtet werden.
- Der Leiter der deutschen Delegation weist darauf hin, daß
nach Art. 3 (2) Satz 1 des Zusatzprotokolls über die Errichtung eines
zeitweiligen Büros der Regierung Bosnien und Herzegowinas zur
Unterstützung der Rückkehr der in der Bundesrepublik Deutschland
lebenden Kriegsflüchtlinge die befristete Tätigkeit des Büros bis Ende
1998 vorgesehen sei. Der Leiter der deutschen Delegation führt weiter
aus, daß Art. 3 (2) Satz 2 des Protokolls aber auch die Möglichkeit
eröffnet, die Tätigkeit des Büros zu verlängern. Erforderlich hierfür
ist eine entsprechende Absprache der Parteien bis spätestens 3 Monate
vor Ablauf des Tätigkeitszeitraums.
Der Leiter der deutschen
Delegation legt dar, daß eine solche Übereinstimmung hinsichtlich
des Fortbestehens des Regierungsbüros im Rahmen eines Schriftwechsels
zwischen der deutschen und bosnischen Seite bereits erzielt worden sei.
Die Parteien stimmen darin überein, daß das mit Zusatzprotokoll vom 12.
2. 1997 etablierte Büro der Regierung Bosnien und Herzegowinas zur
Unterstützung der Rückkehr der in der Bundesrepublik Deutschland
lebenden Kriegsflüchtlinge nach Bosnien und Herzegowina bis Ende 1999
fortbestehen soll. Die im Zusatzprotokoll hinsichtlich des Betriebs
vereinbarten Modalitäten gelten entsprechend fort.
Zu TOP 6: Neues bosnisches Paßgesetz
- Die bosnische Seite gibt einen Überblick über die nach dem
neuen Paßgesetz vom 31. 12. 1997 geltende Sach- und
Rechtsalge.
Nach den Ausführungen der bosnischen Seite wurde im
August dieses Jahres mit der Ausgabe der neuen Pässe in Bosnien und
Herzegowina begonnen. Ab Ende November 1998 sollen die neuen Pässe dann
auch von den Auslandsvertretungen ausgegeben werden.
- Die deutsche Seite weist darauf hin, daß es bei Rückkehrern
hier zu einer finanziellen Doppelbelastung kommen kann, wenn diese ihren
kürzlich in Deutschland gegen eine Verwaltungsgebühr bezogenen alten Paß
nach ihrer Rückkehr in Bosnien und Herzegowina bis spätestens Juni 1999
wiederum gebührenpflichtig gegen einen neuen Paß umtauschen
müssen.
- Die bosnische Seite erkennt darin keine unbotmäßige
finanzielle Doppelbelastung von Rückkehrern.
Zu Top 7: Rückübernahme von Personen mit "humanitären"
Pässen
- Die deutsche Seite erläutert das bereits mehrfach in
Sitzungen des Gemeinsamen Expertenausschusses behandelte Thema der
Rückübernahme von Personen mit "humanitären" Pässen.
Der
deutsche Delegationsleiter weist darauf hin, daß Inhaber von
"humanitären" Pässen unabhängig von der Gültigkeit der Pässe
rückzuübernehmen seien. Dies entspricht nach den Ausführungen der
deutschen Seite zum einen der gefestigten völkerrechtlichen Praxis und
ergibt sich zum anderen auch ausdrücklich aus Art. 2 Abs. 1 Ziff. 2 des
Rückübernahmeabkommens.
- Demgegenüber sieht die bosnische Seite weiterhin eine
Rückübernahmepflicht bei Personen mit "humanitären" Pässen nur dann als
gegeben, wenn es sich dabei um Inhaber von gültigen Pässen handelt. Die
bosnische Seite weist darauf hin, daß es sich bei den Inhabern
ungültiger Pässe nur um wenige Einzelfälle handle.
- Der deutsche Delegationsleiter würdigt die bosnische Position
gerade in Anbetracht der geringfügigen Anzahl der Fälle als deutliches
Signal einer auf bosnischer Seite grundsätzlich wenig ausgeprägten
Kooperationsbereitschaft
Zu TOP 8: Rückkehr von Flüchtlingen in die Republika
Srpska
- Die bosnische Seite bedauert das Fehlen eines Vertreters der
Republik Srpska. Sie stellt fest, daß die angekündigte politische
Öffnung der Republik Srpska gegenüber der ins Auge gefaßten Rückkehr von
Flüchtlingen in die Republik Srpska bislang nur in unzureichendem Maß
erfolgt ist.
Die bosnische Seite wird mit dem Ziel der
Verabschiedung eines Aktionsplans für die Rückkehr von Flüchtlingen in
die Republik Srpska bei UNHCR und OHR um Hilfe nachsuchen, um in
Zusammenarbeit mit den Behörden der Republik Srpska den genannten Plan
zu erarbeiten und dem Expertenausschuß vorzulegen.
Zu TOP 9: Verschiedenes
- In Ergänzung der abgestimmten Tagesordnung erfolgte ein
Meinungsaustausch der deutschen und der bosnischen Seite zu den Themen:
Behandlung von Flüchtlingen deren Wohnraum von anderen Flüchtlingen
bewohnt wird, Stand der Umsetzung des Amnestiegesetzes in der Republik
Srpska, sowie Transit von Rückkehrerfamilien bei denen nur ein
Ehepartner bosnischer Staatsangehöriger und als solcher Inhaber eines
gültigen bosnischen Reisedokuments ist.
- Die nächste Sitzung des Gemeinsamen Expertenausschusses soll
voraussichtlich im März 1999 in Sarajewo und Banja Luka
stattfinden.
Bonn, den 20. 11. 1998
Für die deutsche Delegation
Dr. Gerold
Lenguth |
Für die bosnisch – herzegowinische
Delegation
Muamer
Jarovic | |